
Martin Textor (68) war 25 Jahre Leiter der operativen Spezialeinheiten (SEK, MEK, VG) Berlin und wurde in den Medien oft als der „Polizei-Held von Berlin“ bezeichnet.
Spektakuläre Kriminalfälle wie der Kaufhauserpresser Arno Funke alias Dagobert, die Busentführung des Bankräubers Dieter Wurm oder Deutschlands bekanntester Bankraub in Berlin-Zehlendorf (1995) gehörten zu seinem Alltag. Er selbst sieht sich jedoch er bescheiden als ein Polizeibeamter der seinen Beruf mit Herzblut und Leidenschaft ausgeübt hat. „Entweder die Medien feiern einen als Held oder als Napp. Da gefällt mir Held natürlich besser“, so Textor schmunzelnt.
Jedoch gab es auch schlaflose Nächte und Kriminelle die ihn ganz schön „ärgerten“, wie wohl Deutschlands bekanntester Kaufhauserpresser Arno Funke alias „Dagobert“.
„Nachdem Funke aus der Haft entlassen wurde, haben wir uns mal getroffen. Wir pflegen ein, sagen wir mal »fast freundschaftliches Verhältnis«. Er hat seine Strafe rechtmäßig abgesessen und führt nun ein bürgerliches Leben mit einer neuen Frau an seiner Seite. Sein erstes Karikatur-Buch schenkte er mir mit persönlicher Widmung für »seinen Lieblingspolizisten«.“
Martin Textor möchte in seinem heutigen Vortrag aber nicht nur über spektakuläre Fälle aus seiner Dienstzeit erzählen, sondern vielmehr möchte er aus Sicht eines ehemaligen Einsatzführers, auch auf für ihn zwei viel wichtigere Themen eingehen.
Zum Einen: „Der Finale Rettungsschuss“, der nur in 13 Bundesländern durch die Innenministerkonferenz in den Polizeigesetzen verankert ist. Ausnahmen bieten die Länder Berlin, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Dort kann der „finale Rettungsschuss – die gezielte Tötung – nur durch den Rückgriff im Sinne der Nothilfe gerechtfertigt werden und der einzelne SEK-Beamte muss die Entscheidung selbst treffen zu schießen oder nicht.
Der 68-jährige Leitende Polizeidirektor a.D. war nicht nur selber von 1973 – 1977 als SEK-Beamter an zahlreichen Einsätzen beteiligt, sondern auch ab 1980 ein viertel Jahrhundert Einsatzführer von Spezialeinsatzkommando (SEK), Mobilen Einsatzkommando (MEK) und Verhandlungsgruppe (VG). Daher weiß er genau wie sich ein Polizeibeamter in der Situation fühlt, wenn es darum geht zu entscheiden ob der finale Rettungsschuss eingesetzt werden soll oder nicht.
Zu seiner Dienstzeit als Leiter der operativen Spezialeinheiten hat Martin Textor immer hinter seinem Team gestanden und den SEK-Beamten immer gesagt, wenn das Risiko überschaubar ist, kann ein Zugriff erfolgen und er stehe immer voll und ganz hinter seinen Beamten, auch bei Grenzentscheidungen.
Ebenso findet Textor das viel zu häufig immer nur an den Täter gedacht wird und viel zu wenig an die Opfer. Dabei erinnerte er sich an die Geiselnahme in einer Berliner Commerzbank im Juni 1995, als Täter damit drohten eine Geisel vor den Augen der Öffentlichkeit zu erschießen.
„Sie müssen sich das einmal versuchen vorzustellen, da sitzen sie als Geisel mehrere Stunden, die Hände auf den Rücken gefesselt, einen Jutesack über dem Kopf und sie hören wie ein Täter damit droht ihnen ins Bein zu schießen, weil er seinen Forderungen Nachdruck verleihen möchte. Anschließend sagt der Täter dem Verhandlungsführer noch er wüsste ja, dass die Polizei ihn nicht erschießen darf. So etwas ist die Hölle für jedes Opfer.
Diesen Zustand halte ich für unerträglich und die Politik muss diesen Missstand endlich gesetzlich regeln. Es kann nicht sein, das z.B. ein Polizeiobermeister diese Entscheidung alleine treffen und verantworten soll“, so Martin Textor im Interview.
Textor selbst hat sich mehrfach beim damaligen Innensenator Berlins Erhard Körting (SPD) dafür eingesetzt, jedoch ergebnislos. „Sie wissen ja wie das mit der Politik und den Parteien ist, manchmal sind diese zu sehr mit ihrem Tagesgeschäft beschäftigt und wenn es dann zu einem „Unglück“ kommt, dann wird darüber diskutiert. Herr Körting hat immer hinter mir gestanden und mir nie in meine Entscheidungen als Einsatzführer reingeredet. Auch sagte er mir immer wieder „Sie wissen ja wie das geht“.
Genau aus diesem Grund möchte ich auch noch heute, in meiner nicht aktiven Zeit, immer wieder die Leute daran erinnern und es ins Bewusstsein zurückholen und wünsche mir, dass endlich gehandelt wird. Es darf nicht sein das die Opfer in solchen Situationen wie Geiselnahmen das Risiko tragen und nicht der Täter“, ergänzte Textor.
Zum anderen möchte der pensionierte Elite-Polizist aber auch auf das Thema des „unmittelbaren Zwanges“ eingehen. Er ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen mittels körperlicher Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffen, durch zuständige und befugte Amtsträger. Beispielsweise der Einsatz von Pfefferspray auf Demonstrationen, der Einsatzmehrzweckstock, oder der Schusswaffengebrauch.
Martin Textor: „Auch hier ist es paradox das eine rechtliche Grundlage für Polizeibeamte geschaffen wurde um den unmittelbaren Zwang anwenden zu dürfen, jedoch wurde Frankfurts Polizeivizepräsident Daschner – im Fall der Kindesentführung Jakob von Metzler – zu einer hohen Geldstrafe (10.800€) verurteilt, da er dem Kindesentführer androhte „Schmerzen“ hinzuzufügen. Verstehen sie mich nicht falsch, ich verabscheue und bin gegen Folter, nur wenn ich als Polizeibeamter einen flüchtenden Straftäter durch Schusswaffengebrauch handlungsunfähig machen möchte, rufe ich vorher „Halt stehen bleiben Polizei“. Auch dort drohe ich dem Täter „Schmerzen“ an, denn ihm sollte bewusst sein, dass wenn der Polizeibeamte mir ins Knie schießt, wird das Schmerzen bereiten.“
Während der Zeit bei den Spezialeinheiten der Polizei Berlin führte Martin Textor u.a. die Altersgrenze für SEK Beamte ein oder die Elektroschockpistole den „Taser“. Kritiker warfen ihm vor er wolle die Polizei aufrüsten. Textor hingegen wünscht sich für jeden Streifenpolizisten einen solchen Taser, wie er in einigen Bundesstaaten der USA eingesetzt wird. „Der Taser ist eine nicht tödliche Waffe und dient dazu den Täter temporär kampfunfähig zu machen. Wo also ist dabei die Aufrüstung?“, gibt Textor zum Nachdenken mit auf den Weg.
SEK-Einsatz.de bedankt sich an dieser Stelle nochmals ganz besonders an Martin Textor für das geführte Interview und die Einblicke in eine Problematik aus Sicht eines Einsatzführers, die leider viel zu selten in den Medien und der Öffentlichkeit diskutiert wird. Das Interview führte T. Moll.