Köln | Nicht nur NRW-Innenminister Ralf Jäger sondern allen voran Kölns Polizeipräsident Albers forderte eine vollständige und lückenlose Aufklärung um die möglichen „Mobbingvorwürfe“ in der sogenannten SEK-Affäre innerhalb des Spezialeinsatzkommando 3 in Köln. In den vergangenen Wochen verging kaum ein Tag, an dem Medien nicht über das SEK Köln berichteten oder sich ‚Experten‘ zu Wort meldeten.
Da war die Rede von:
„Die brutalen „Stammesriten“ der Elite-Polizisten“ (Onlineausgabe Welt, 27.06.2015)
„Solche Rambos haben in der Polizei nichts zu suchen. Wenn man sie nicht aus dem Dienst entlassen kann, sollten sie irgendwohin versetzt werden, wo sie keinen Schaden mehr anrichten können.“ (Innenexpertin der Grünen Monika Düker 17.09.2015)
„Kölner SEK-Beamte zerlegen aus Frust Aufenthaltsraum mit Kettensäge“ (Onlineausgabe Stern, 16.09.2015)
„SEK außer Rand und Band“ (Onlineausgabe neues Deutschland, 16.09.2015)
„Rüpeltruppe des Tages: Sondereinsatzkommando Köln“ (Onlineausgabe junge Welt, 17.09.2015)
„Neue Schock-Vorwürfe: Kölner SEK-Beamte sollen Kollegen misshandelt haben“ (Onlineausgabe Kölner Express, 23.06.2015)
„Während die Polizei in NRW sich als „Bürgerpolizei“ versteht, gilt das SEK als die letzte Bastion reiner Männlichkeit“ (Rafael Behr – Kriminologe und Dekan an der Akademie der Polizei in Hamburg, 27.06.2015)
Wochenlang wurde von menschenverachtenden Ritualen, Alkoholexzessen, Demütigungen und Quälereien gesprochen. Bis schließlich am 15. September 2015 der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers mit Rückendeckung seines Parteifreundes Ralf Jäger (SPD) aus dem MIK NRW das SEK 3 auflöste.
Auflösung zu Voreilig?
Doch mit Affären ist das ja immer so eine Sache. Der 30-seitige Bericht von Gatzke kommt nämlich, ähnlich wie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Aachen, zu einem ganz anderen Ergebnis, als die gemachten Vorwürfe des 33-jährigen SEK-Anwärters. In seinem Bericht schreibt der ehemalige LKA Direktor „es gebe keine Anzeichen von demütigenden oder menschenverachtenden Ritualen. Auch gibt es keine Hinweise von zweifelhaften Wertevorstellungen der SEK-Beamten.“
Wie kam es überhaupt soweit?
Die SEK-Affäre im Detail
Vorbemerkung: Innerhalb des SEK 3 durchliefen neue Kommandomitglieder eine informelle „Probezeit“ – Einarbeitungszeit – die in der Regel mehr als zwei Jahre betrug. Dabei standen die neuen Kommandomitglieder unter der Beobachtung der dienstälteren Mitglieder. Mit Bestehen dieser Probezeit erklärten die anderen Kommandomitglieder des SEK 3, dass sie die Kollegen in das Kommando aufnehmen und ihnen im Einsatz uneingeschränkt vertrauen würden. Dazu erfolgte auch eine Aufnahmezeremonie, die auf freiwilliger Basis erfolgte und es unerheblich war, ob die Aufgaben erfolgreich bewältigt wurden oder nicht. Anschließend wurde ein T-Shirt mit dem Kommandoinsigne – beim SEK 3 ein Indianer – und ein entsprechendes Abzeichen übergeben. Somit war die uneingeschränkte Zugehörigkeit zum Kommando besiegelt. Ein besonders wichtiger und symbolischer Akt der Anerkennung und Wertschätzung. Ähnlich eines „Gesellenstück“ oder „Ritterschlag“ und wichtiges für den Gruppenzusammenhalt förderndes Gemeinschaftserlebnis. So schreibt es auch der Sonderermittler Gatzke in seinem Bericht.
31. Mai 2014: Die Probezeit des 33-Jährigen sowie eines weiteren „SEK-Anwärters“ enden.
29. – 31. Mai 2014: In ihrer Freizeit fahren die beiden „Neulinge“ gemeinsam mit dem Kommando 3 nach Taufers (Südtirol), um dort zur Stärkung des Zusammenhalts innerhalb des SEK 3 gemeinsam einen Klettersteig und ein „Canyoning“ zu absolvieren. In Anlehnung an den Kommandoinsignien sollten die Absolventen ein Indianerkostüm mit blonder Perücke und Glatze anziehen, was sie auch freiwillig taten. Bereits während der Anreise wurde den beiden Anwärtern eine Sperrholzkiste (ca. 32 x 21 cm) mit textilen Handgriffen übergeben und der Hinweis, die Kiste nicht ohne Erlaubnis loszulassen. Was beide bis zum 31.05.2014 nicht wussten, enthielt die Kiste bereits die vorgesehen Kommando T-Shirts sowie die Abzeichen, da das Team sich bereits sicher war, beide im Kommando 3 „aufzunehmen“.
Danach erfolgten diverse körperlich anspruchsvolle Sportübungen – u.a. Burpees oder Kletterübungen.
Beide Anwärter teilten sich ein Einzelzimmer, so dass einer auf dem Boden und der andere im Bett schliefen.
Am zweiten Tag absolvierten alle Teilnehmer der Gemeinschaftsveranstaltung das geplante „Canyoning“. Darüber hinaus mussten die beiden Anwärter mit alten Fahrrädern etwa 10 km bergauf zu einem Eissee radeln. Dort angekommen schwammen beide zu einer nahegelegenen Sandbank und mussten einen Bommerlunder-Schnaps trinken. Anschließend joggten die beiden Anwärter mit einem Kommandomitglied zurück zum Hotel.
31. Mai 2014: Zurück in Köln besuchten einige Kommandoangehörige ein Brauhaus. Weitere aktive und ehemalige Kommandoangehörige fuhren mit den beiden Anwärtern vom Kölner Bahnhof zum Stützpunkt in Brühl. Dort sollten die beiden „Neuen“ jeweils auf dem Boden vor einem sitzenden Kommandomitglied kniend ein aus einer Tsatsiki-Knoblauch-Chili-Mischung hergestelltes Eis essen, welches ekelerregend geschmeckt haben soll und das sich zwischen den Oberschenkeln (im Bereich der Knie) eines der Kommandomitglieder befand.
Anschließend wurde beiden nacheinander eine Vollgesichts-Tauchermaske aufgesetzt und durch einen Luftschlauch Alkohol zugeführt. Der eine Anwärter trank so einen halben Liter Bier. Der zweite – 33-Jährige – der auch die „Mobbingvorwürfe“ machte, schaffte es nicht und riss sich die Maske vom Gesicht.
Im weiteren Verlauf erhielten beide Anwärter schließlich die T-Shirts und das Abzeichen. Während der 33-Jährige die gesamte Veranstaltung als Schikane und „menschenverachtend“ empfand, spricht der zweite Anwärter vom „Höhepunkt seiner Karriere und eines der ehrenhaftesten Momente“ in seinem Leben. Im Anschluss fand eine gemeinsame Feier statt. Der 33-Jährige verließ diese jedoch, da er lieber mit seinen Freunden in der Kölner Innenstadt feiern wollte.
Dieses sorgte für Unmut bei einigen Mitgliedern im Kommando. Der andere „Neuling“ offenbarte dem Team einige Kritikpunkte über den 33-Jährigen, die er zunächst für sich behalten hatte. Bereits während seiner Einarbeitungszeit hat der 33-Jährige immer wieder in der Kritik anderer Kollegen gestanden und es gab bereits mehrere Mitarbeitergespräche ohne spürbare Verbesserung. Die von dem Kollegen in der Nacht gemachten Angaben waren – was Tiefe und Qualität der Vorfälle anbelangt – von bislang unbekannter Dimension für das SEK 3.
02. Juni 2014: In Abwesenheit des 33-Jährigen führte das SEK 3 eine Krisensitzung durch und kam zu dem Entschluss, sich derzeit nicht vorstellen zu können, weiter mit dem Beamten zu arbeiten. Das Vertrauen war zu sehr gebrochen.
03. Juni 2014: Der 33-jährige Beamte wurde vom Kommando darüber informiert.
10. Juni – 04. Juli 2014: Der 33-Jährige absolvierte gemeinsam mit anderen Kommandomitgliedern das Wettkampftraining zum SEK-Vergleichswettkampf „Arminius“ in Bielefeld und nahm daran auch erfolgreich teil. Wie SEK-Einsatz.de berichtete, gewann das SEK Köln 2014 diesen Wettkampf.
06. Juli 2014: Um die hochemotionale Situation zu entspannen und eine Basis für eine weitere, unbelastete Zusammenarbeit in einem anderen SEK beim PP Köln zu schaffen, sollte der 33-Jährige bei einer anderen Polizeiinspektion hospitieren. Dabei äußerte er, dass er das Kommando 3 verlassen möchte, sich jedoch der Herausforderung stellen wolle. Sollte auch das nicht funktionieren, werde er von sich aus keine weitere Verwendung mehr beim SEK Köln anstreben.
Bis Oktober 2014: Aufgrund einer im Dienst erlittenen Knieverletzung war der 33-Jährige krankgeschrieben. Da er durch eine Operation auch in den folgenden Wochen nicht voll einsatzfähig war, versah er im Folgenden seinen Dienst in der Führungsstelle SE.
Ende November 2014: Im Rahmen einer Supervision aller Kommandomitglieder und des 33-Jährigen, wurde versucht den Konflikt zu lösen. Da das Vertrauen in den 33-Jährigen nur noch teilweise vorhanden war, eine solide Vertrauensbasis jedoch die Grundvoraussetzung für die enge und funktionierende Teamarbeit im SEK ist, war nach Meinungen aller Beteiligten zum damaligen Zeitpunkt eine weitere Verwendung im SEK 3 nicht möglich.
10.01.2015: Der 33-Jährige wurde in das SEK 1 beim PP Köln umgesetzt. Da sich sein bisheriges Verhaltensmuster dort fortsetzte, konnte das erforderliche Vertrauen im SEK 1 nicht gebildet werden.
27. Mai 2015: Fast auf den Tag genau ein Jahr später sucht der 33-jährige SEK-Beamte das Sachgebiet für Beamten- und Disziplinarrecht des Polizeipräsidiums Köln auf und bat um ein persönliches Gespräch wegen „Mobbings“ an seiner Dienststelle.
16. Juni 2015: Bei einem weiteren Gespräch mit dem Leiter der Spezialeinheiten sowie insbesondere bei einer ausführlichen behördlichen Vernehmung im Sachgebiet für Beamten- und Disziplinarrecht machte er Angaben zu Vorfällen während einer Gemeinschaftsveranstaltung im Mai 2014 und nach der Rückkehr in der Polizeiliegenschaft Brühl, die den Verdacht von Straftaten und dienstrechtlichen Vergehen begründeten.
Daraufhin untersagte Polizeipräsident Wolfgang Albers unverzüglich sämtliche „informelle Veranstaltungen“ zur Aufnahme neuer Kollegen und leitete gegen die SEK-Beamten Disziplinarverfahren ein. Außerdem entschied Albers, das betreffende SEK 3 bis auf weiteres nicht mehr zum Einsatz heranzuziehen. Weiter wurde der ehemalige Direktor des LKA Wolfgang Gatzke gebeten, die Wertevorstellungen und Rituale in SEK Köln zu untersuchen.
19. Juni 2015: Die Staatsanwaltschaft Köln leitet gegen 10 Beamte des SEK 3 von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren ein.
26. Juni 2015: Nach einer Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft Köln wird das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Aachen übergeben.
29. Juni 2015: Kölns CDU-Chef Bernd Petelkau fordert den Rücktritt von Polizeipräsident Wolfgang Albers, nach zahlreichen Pannen innerhalb der Behörde. Dieser erklärt jedoch im Amt bleiben zu wollen
06. August 2015: Die Staatsanwaltschaft Aachen stellt das Ermittlungsverfahren gegen alle 10 SEK-Beamte des Kommandos 3 ein. Zitat: „Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass hier kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten feststellbar ist.“
10. August 2015: Polizeipräsident Albers hält an den Disziplinarverfahren fest: „Aus Gründen der Neutralität hat der Polizeipräsident das Innenministerium gebeten, die Disziplinarverfahren durch eine andere Behörde führen zu lassen.“
15. September 2015: Kölns Polizeipräsident Albers löst mit Rückendeckung des Innenministeriums NRW das SEK 3 mit sofortiger Wirkung auf, obwohl die Verfahren und Untersuchung durch Gatzke noch nicht abgeschlossen sind.
15. September 2015: Die GdP kritisiert den Polizeipräsidenten in seiner Entscheidung scharf und kündigt rechtliche Schritte an.
September 2015: Der im Innenministerium NRW für alle Polizeiangelegenheiten verantwortliche Ministerialdirigent Wolfgang Düren berichtet im Innenausschuss, dass die beiden SEK-Anwärter hätten Eis aus Körperflüssigkeiten essen müssen. Dieses erwies sich als falsch.
Oktober 2015: Innenminister Ralf Jäger verschickt ein Entschuldigungsschreiben an den Innenausschuss für die Falschaussage von Düren.
Oktober 2015: Die Rechtsanwälte der Kommandoangehörigen reichen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Düren ein.
09. Oktober 2015: Innenminister Ralf Jäger lobt die sachliche Aufarbeitung durch den Ex-LKA-Chef. Der Bericht des ehemaligen Chefs des NRW-Landeskriminalamtes Wolfgang Gatzke liefert nach Ansicht von Innenminister Ralf Jäger „wichtige Erkenntnisse zur Wertehaltung“ des Kölner SEK.
„Ich bin froh, dass die Wertevorstellungen des Kölner SEK denen der NRW-Polizei entsprechen„, erklärte Jäger. Gatzke hatte vom Kölner Polizeipräsidenten allerdings ausdrücklich nicht den Auftrag, die Vorfälle beim Aufnahmeritual des SEK-Kommandos 3 zu untersuchen. Der Innenminister betonte erneut, dass „Mobbing und inakzeptable Aufnahmerituale bei der NRW-Polizei nicht geduldet werden.“
Obwohl es keine Hinweise auf weitere, demütigende Aufnahmerituale bei Spezialeinsatzkräften der Polizei außerhalb des Polizeipräsidiums Köln gab, hatte der NRW-Innenminister im Juni vorsorglich eine Sonderinspektion aller Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Nordrhein Westfalen angeordnet. „Damit werden diejenigen Beamten vor ungerechtfertigten Verdächtigungen geschützt, die zuverlässig und engagiert bei den Spezialeinsatzkräften der Polizei im Einsatz sind„, erklärte Ralf Jäger. Deswegen wurden mit dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW in Duisburg und dem Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW in Selm-Bork fachkundige Aufsichtsbehörden mit der Überprüfung betraut. Hieran wird mit Hochdruck gearbeitet.
War die Auflösung des SEK 3 in Köln also doch zu übereilt? Wird Polizeipräsident Wolfgang Albers dafür Konsequenzen mit sich selber ziehen? Auflösung um 17 Uhr heute auf einer Pressekonferenz im PP Köln.