Berlin | Die Terroranschläge in Paris vor einer Woche haben viele Menschen zutiefst verunsichert. Auch wenn die Bedrohungslage bereits seit Monaten als abstrakt hoch eingestuft wird, gerade in der Hauptstadt reagieren die Bürger sensibel: Die Zahl der verdächtigen Gepäckstücke, die jeden Tag gemeldet und von Spezialisten unschädlich gemacht werden, ist in die Höhe geschnellt. Auf den am Montag startenden Weihnachtsmärkten soll es seitens der Veranstalter mehr Kontrollen geben, die Polizei hat ein noch genaueres Auge für verdächtige Personen und Situationen.
Auch über die Einsatzbereitschaft und Ausrüstung von Polizei und Feuerwehr in Berlin wird diskutiert. So hatte der Innensenator gegenüber Medien angekündigt, dass eine Debatte zur Ausrüstung der Polizei geführt werden müsse.
„Nach den furchtbaren Anschlägen in Paris initiiert der Berliner Innensenator Frank Henkel eine Debatte über eine mögliche Aufrüstung der Berliner Polizeidienstkräfte. Dies ist gleichermaßen richtig wie verwunderlich„, sagte Berlins GdP-Landesbezirksvorsitzende Kerstin Philipp.
Bereits nach dem mörderischen Angriff auf das französische Satire-Magazin ‚Charlie Hebdo‘ im Januar 2015 hatte die GdP die Entscheidung des Innensenators und dessen Polizeipräsidenten Klaus Kandt kritisiert, die Einsatzkräfte zum Schutz der Verlagshäuser nicht mit Maschinenpistolen auszustatten, da dies zu martialisch wirke.
„Die Gefahrenlage ist nicht erst seit den Anschlägen im Januar bzw. am Freitag hoch. Dass der Innensenator nun das Problem der mangelnden Ausrüstung der Berliner Polizei erkennt, ist überfällig„, so die GdP-Vorsitzende.
Aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) müssen folgende Punkte dringend angepackt werden:
- Die Schießstätten der Polizei Berlin sind schnellstmöglich herzurichten, die zeitlichen Kapazitäten für das Schießtraining mit Pistole sowie Maschinenpistole sind signifikant zu erhöhen.
- Die Sportstätten der Polizei sind schnellstmöglich zu modernisieren, die zeitlichen Kapazitäten für das Sport- und Einsatztraining müssen deutlich erhöht werden.
- Alle Vollzugsdienstkräfte müssen mit einer personengebundenen Schutzweste gleichen Typs ausgestattet werden.
- Passend zu den Westen sollten sogenannte Keramikplatten der Schutzklasse 4 beschafft werden. Diese können im Fahrzeug verbleiben und bei Bedarf angelegt werden, um wenigstens den Oberkörper vor Gewehrfeuer schützen zu können.
- Die Munitionierung für die Maschinenpistole auf den Dienstfahrzeugen ist zu erhöhen.
- Die Polizei Berlin benötigt eine geringe Anzahl gepanzerter Fahrzeuge der Schutzklasse 4 zum Retten verletzter Personen aus der Gefahrenzone.
- Die Ausrüstung der Spezialeinheiten (SEK und MEK) ist zu modernisieren. Es fehlen etwa neue Langwaffen für die Präzisionsschützen, Nachtsichtgeräte und Visiereinrichtungen
- Die Spezialeinheiten sind mit deutlich mehr Personal auszustatten, um Gefährder im nötigen Umfang überwachen zu können.
- Der Fuhrpark der Feuerwehr muss modernisiert und insbesondere um weitere Rettungswagen aufgestockt werden.
- Gemeinsame Übungen von Feuerwehr, Polizei und Hilfsorganisationen müssen häufiger realisiert werden, um Schwachstellen bei der Bewältigung von Großschadensereignissen aufdecken und beheben zu können.
„Die militärische Bewaffnung der Attentäter macht für alle Polizisten eine Schutzweste der Klasse 4 erforderlich. Und zwar ohne eine zeitraubende europaweite Ausschreibung. Statt jedoch die Waffenausstattung aller Polizisten „hochzufahren“, sollte sich auf eine Modernisierung der Bewaffnung und Ausrüstung der Spezieinsatzalkräfte konzentriert werden. Die operativen Spezialkräfte der Berliner Polizei müssen mit vollkommen veralteter Ausrüstung auskommen. Dieser Zustand muss dringend behoben werden„, so GdP-Landesbezirksvorsitzende Philipp.
Fakt ist: Der Dienstherr hat im Jahr 2011 mehr als 100 Schutzwesten – aus taktischen Gründen verzichtet die Redaktion auf die Veröffentlichung der genauen Anzahl – allein für das Berliner Spezialeinsatzkommando (SEK) der Schutzklasse 4 PLUS im Wert von rund 400.000 Euro beschafft.

Aktuell (Stand April 2015) verfügt die Polizei Berlin über circa (ca.) 17.800 dienstlich beschaffte bzw. bezuschusste Schutzwesten. Abzüglich von ca. 2.000 in Zugriffpools befindlichen Schutzwesten verfügen hiernach ca. 15.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über eine persönlich zugeordnete ballistische Schutzweste. Da es in der Berliner Polizeibehörde keine Verpflichtung zum Empfangen und Tragen ballistischer Schutzwesten gibt, kann nicht genau gesagt werden, wieviele Beamte keine Weste tragen. In den Jahren 2011 bis 2015 beschaffte die Polizei Berlin insgesamt 2.221 neue balisitische Schutzwesten im Gesamtwert von mehr als 2 Millionen Euro. Mehr als 500 privat beschaffte Westen wurden mit mehr als 400.000 Euro bezuschusst.
Würde man – wie von der GdP gefordert – für alle 15.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine SK 4+ stand alone Stahl-Keramikplatte beschaffen, die keine zusätzliche Weichballistik benötigt und vor großkalibrigen Geschossen oder einer Ak47 schützt, dürfte das ein Investitionsvolumen von rund 4.7 Millionen Euro darstellen. Eine sinnvolle Investition in die Sicherheit der Einsatzkräfte.
Wie ein Sprecher der Innenverwaltung gegenüber SEK-Einsatz.de auf Nachfrage bereits im Juli 2015 bestätigte, sind u. a. „Anpassungsbedarfe bei Schutzausrüstung und Ausstattung der Spezialeinheiten“ geplant. Dazu zählen die Ausstattung mit anderen Schutzschilden sowie die Anschaffung von weiteren Distanz- und Präzisionswaffen.

„Um einer möglichen terroristischen Bedrohung begegnen zu können, wird auch die Ausstattung der Spezialeinheiten der Polizei Berlin ständig verbessert und angepasst. Dazu gehört u.a. die Ausstattung mit anderen Schutzschilden. Die Entwicklungen der terroristischen Bedrohungslage werden kontinuierlich beobachtet. Tatsächlich ist die Ausstattung mit zusätzlichen modernen Waffen ein wichtiger Punkt der Weiterentwicklung der Möglichkeiten bei der Bekämpfung terroristischer Bedrohungen. Eine bundesweit einheitliche Ausstattung ist für länderübergreifende Lagen anzustreben„, so der Sprecher weiter.

Nur ist es nicht so leicht das schnell umzusetzen, denn die Waffenbeschaffungen beim SEK Berlin erfolgen sukzessiv, sodass eine Kontinuität in der Zuverlässigkeit des gesamten Waffensystems gewahrt bleibt. Ein derartiges Konzept bringt es mit sich, dass Waffen bereits seit einigen Jahren genutzt werden.

„Um eine Einsatzfunktionsfähigkeit der vorhandenen Waffen zu gewährleisten, findet jährlich eine Waffenrevision, also eine Verlässlichkeitsprüfung durch ausgebildete Fachkräfte statt. Die Ausstattung mit zusätzlichen modernen Waffen wird ständig geprüft und im Rahmen des zur Verfügung stehenden Budgets weiter betrieben„, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich gegenüber SEK-Einsatz.de
Aber auch die intensiven und regelmäßigen Trainings mit anderen Spezialeinheiten der Bundesländern soll weitergeführt werden. Diese bieten umfassende Möglichkeiten, die Taktiken stetig aufeinander abzustimmen und zu verbessern. Dazu gehört auch der Austausch über Ausstattungsstand und Ausrüstung der Spezialeinheiten sowie ein sich daraus ergebender Anpassungs- oder Mehrbedarf.
„Es erfolgt eine ständige Analyse möglicher Bedrohungsszenarien, die dann auch speziell trainiert werden. Das Berliner Spezialeinsatzkommando (SEK) verfügt über einen hohen Ausbildungs- und Trainingsstand sowie ein umfangreiches Erfahrungswissen. Dennoch unterstreichen die unterschiedlichen modi operandi terroristischer Bedrohungen die Notwendigkeit, kontinuierlicher Anpassung und Optimierung“, sagte der Sprecher der Innenverwaltung Berlins.
Fakt ist auch: 117.696 Mehrarbeitsstunden der Spezialeinheiten allein in Berlin
Allein beim Personenschutz (PSK), Mobilen Einsatzkommando (MEK), Spezialeinsatzkommando (SEK) und Mobilen Einsatzkommando Aufklärung / Operative Dienste (A/OD) kam es zu einer Mehrarbeit von 117.696 Stunden im Jahr 2014. Dabei werden den mehr als 500 Beamtinnen und Beamten der Spezialeinheiten in der Abteilung 6 des Landeskriminalamtes jeden Tag hohe Anforderungen an die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit abverlangt, hin bis zur totalen Erschöpfung. Das dabei die von Senator Henkel geschaffenen 250 neuen Stellen bei der Polizei nicht ausreichend sind, liegt auf der Hand.
Jedoch ist es aufgrund der hohen Anforderungen zur Verwendung bei den Spezialeinheiten nicht leicht qualifiziertes Personal zu bekommen. Rund 80-90% der Bewerber fallen allein im EAV durch. Um so wichtiger dürfte es sein, die vorhandenen Einsatzkräfte bestens auszustatten und Wert zuschätzen.