Berlin – Am frühen Morgen des heutigen Mittwochs durchsuchten etwa 550 Polizeibeamte, darunter Spezialeinsatzkräfte (SEK) mehrerer Bundesländer stadtweit insgesamt 31 Wohnungen, Lokale und Vereinsheime von Mitgliedern der Rockergruppierung Hells Angels MC Berlin City sowie deren Supporter MG 81. Berlins Innensenator Frank Henkel hat den Rockerclub dessen Teilorganisation mit sofortiger Wirkung verboten.
Razzia verraten | Innensenator entsetzt
Jedoch kamen die Polizeibeamten nicht unangekündigt. Bereits gestern berichteten Medien von der geplanten Razzia und dem Vereinsverbot. Daraufhin löste sich der Rockerverein unter Führung des Türken Kadir P. bereits am Dienstag auf. Vereinsschilder in der Residenzstraße mit der Aufschrift der Hells Angels wurden vorsorglich abmontiert.
Berlins Innensenator: „Ich bin entsetzt über Hinweise, wonach der Einsatz im Vorfeld bei den Betroffenen bekannt gewesen sein soll. Daher habe ich die Polizeivizepräsidentin aufgefordert, die Umstände der Einsatzplanung und -durchführung genau zu prüfen und Konsequenzen zu ziehen. Inzwischen hat sie selbst Ermittlungen wegen Geheimnisverrates gegen Unbekannt eingeleitet. Die Weitergabe von Informationen im Vorfeld von Einsätzen gefährdet den Einsatzerfolg und schlimmstenfalls auch das Leben der eingesetzten Polizeibeamten. Das werde ich nicht akzeptieren.“
Wo genau die „undichte Stelle“ ist, müssen jetzt die beim LKA Berlin eingeleiteten Untersuchungen ergeben. Polizeisprecher Thomas Neuendorf sagte, dass nun genau geprüft werde, wann welche Informationen an die Öffentlichkeit gelangten. Von der geplanten Razzia wußten nur wenige LKA-Ermittler beim Fachkommissariat für Rockerkriminalität. Somit besteht auch die Möglichkeit, dass Informationen gezielt an Medien und/oder Hells Angels Mitglieder durch die Verwaltung rausgetragen wurden. Immerhin wurde die Vereinsverbotsverfügung am 24. Mai vom Innensenator unterschrieben.
Aufgrund der umfangreichen Einsatzvorbereitungen und Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen wurde die großangelegte Razzia für heute geplant. Nachdem gestern jedoch von der Razzia in den Medien zu lesen war, betraten Beamte der Polizei Berlin das Vereinshaus der Hells Angels in der Residenzstraße und händigten den betroffenen Personen ab 00:40 Uhr im Auftrag der Senatsverwaltung für Inneres und Sport die Verbotsverfügung aus.
Dem Verbotsverfahren gingen jahrelange Ermittlungen voraus. Seit Jahren liefert sich die Rocker-Szene heftige Auseinandersetzungen, bei denen es immer wieder Tote und Verletzte gab. Dabei kamen auch Unbeteiligte zu Schaden. Den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden zufolge sind die Rocker-Clubs tief in die organisierte Kriminalität verwickelt.
Motorräder, Waffen und Möbiliar beschlagnahmt
Bei den heute durchgeführten Durchsuchungen wurde unter anderem das Mobiliar im Vereinshaus sowie acht Motorräder, da es sich hierbei offensichtlich um Vereinsvermögen der verbotenen Organisation handelt sichergestellt. Darüber hinaus fanden die Polizeibeamten bei den Durchsuchungen mehrere Hieb- und Stichwaffen und ein Gewehr. Nachdem das Clubhaus von Einsatzkräften geräumt und das Inventar abtransportiert worden ist, konnten die Räumlichkeiten dem Eigentümer übergeben werden. Zwei Personen wehrten sich gegen die polizeilichen Maßnahmen, so dass Ermittlungsverfahren wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet wurden.
Unruhe in der Rockerszene
Bereits in den letzten Tagen kam es zur Unruhe in der Rockerszene. Ein wichtige Abteilung der Rockerbruderschaft Bandidos, das sogenannte Chapter South Central, welches in Berlin-Weißensee ihr Vereinsheim hatte, hatte sich zuvor am Dienstag in Berlin aufgelöst und war zu den Hells Angels übergelaufen, um wiederum der Auflösung zuvorzukommen.
Ungeklärt ist bislang auch ein Tötungsdelikt an einem Bandidos Mitglied in Bottrop. Dort wurde gestern (29.05.2012) am Straßenrand der Horster Straße in Boymannsheide das Motorrad und der 49-jährige Bottroper mit einer Schußverletzung in der Brust gefunden. Trotz notärztlicher Behandlung verstarb der Mann noch vor Ort. Die Staatsanwaltschaft Essen und die Polizei Recklinghausen richteten unverzüglich eine Mordkommission ein.
Auch in Rheinland-Pfalz richtet sich die Polizei mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen auf den am 05. Juni beginnenden Gerichtsprozess am Landgericht Kaiserslautern ein. Am Dienstag, knapp drei Jahre nach der tödlichen Messerattacke auf das 45-jährige Mitglied der „Outlaws“ in Stetten im Donnersbergkreis, beginnt der Gerichtsprozess gegen einen 29-jährigen „Hells Angel“, der an der Tat beteiligt gewesen sein soll. Er war flüchtig und hatte sich vor kurzem den Behörden auf Mallorca gestellt. Wegen Körperverletzung mit Todesfolge wurden zwei seiner mutmaßlichen Komplizen bereits zu Haftstrafen verurteilt.
„Das Interesse an diesem Folgeprozess schätzen wir nicht so hoch ein, wie beim ersten. Dennoch ist die Polizei auf alles gut vorbereitet“, so der verantwortliche Gesamteinsatzleiter Hans Maaßen.
Derweilen laufen nach der großangelegten Durchsuchung mit GSG 9 und SEK-Kräften in Schleswig-Holstein, SEK-Einsatz.de berichtete, die Ermittlungen in dem Verfahren auf Hochtouren. In dem Mammutverfahren geht es ebenfalls um ein mögliches Tötungsdelikt. Der ehemalige Anführer des Kieler Hells-Angels-Schlägertrupps „Legion 81“ befindet sich laut seinem Anwalt im Zeugenschutzprogramm, nachdem er zahlreiche Informationen den Behörden gab. Jedoch wird der 40-Jährige am Donnerstag vor dem Landgericht Kiel erwartet, das derzeit gegen ihn unter anderem wegen Menschenhandels, Zuhälterei, räuberischer Erpressung, Nötigung und Körperverletzung verhandelt. Auch dort gibt es verschärfte Sicherheitsmaßnahmen durch die Polizei.