Düsseldorf | In einem breit angelegten Pilotprojekt will die Polizei NRW in fünf Behörden den Einsatz von Bodycams testen, wie NRW Innenminister Ralf Jäger (SPD) heute im Düsseldorfer Landtag sagte. „Wir wollen im Alltag herausfinden, ob Bodycams wirklich die Übergriffe auf Beamte reduzieren können. Dafür brauchen wir jetzt schnell eine entsprechende rechtliche Grundlage“, so Jäger. Bislang fehlt im NRW-Polizeigesetz (PolG NRW) eine Regelung für diese Bild- und Tonaufzeichnungen. Dem hatten sich innerhalb der Landesregierung bislang die Grünen entgegengestellt.
Wie eine Sprecherin des Ministeriums für Inneres und Kommunales (MIK) NRW gegenüber SEK-Einsatz.de heute sagte, werde man Streifenteams des Wach- und Wechseldienstes in Düsseldorf, Duisburg, Köln, Wuppertal und im Kreis Siegen-Wittgenstein mit rund 180 Kameras ausstatten. „Die Erkenntnisse aus den Pilotprojekten anderer Bundesländer lassen sich nicht auf NRW übertragen. In Hessen und Rheinland-Pfalz werden etwa nur typische Kontrollsituationen an Kriminalitätsschwerpunkten gefilmt“, heißt es aus dem MIK.
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„Gerade die alltäglichen Einsätze im Wachdienst wegen Ruhestörung oder häuslicher Gewalt eskalieren aber immer öfter. Die Gewaltbereitschaft unseren Beamten gegenüber nimmt immer mehr zu“, so Jäger. „Somit wird die Polizei NRW eine Vorreiterrolle einnehmen, da auch in geschlossenen Räumen gefilmt wird“, ergänzte die Sprecherin des MIK NRW.
Von Anfang an werden unabhängige Sachverständige das Pilotprojekt wissenschaftlich begleiten. Damit soll die deeskalierende Wirkung von Bodycams untersucht werden. Auch soll in der Erprobung getestet werden, wie die Funktionalität im Alltag ist: Anlegen der Bodycam an der Multifunktionsweste, Anschluss der Kamera, Ein- und Aussteigen aus dem Funkstreifenwagen, An- und Ausziehen der Jacke im Winter sowie Kompatibilität anderer an der Person getragenen Einsatzmitteln.
Bei einer klassischen Fußstreife wie bei den Pilotversuchen in Hessen, RLP und der Bundespolizei geht der eingesetzte Polizeibeamte fertig aus- und aufgerüstet aus der Wache und kehrt so auch zurück.
Hersteller noch nicht bekannt
Welche Modellreihe, Brust- oder Schulterkamera, der Bodycams in NRW getestet werden sollen ist derzeit noch nicht bekannt. Auch befinde man sich derzeit noch in der Marktsichtung und Ausschreibungsvorbereitung, sagte die Sprecherin des MIK. Als führende Hersteller im Bereich von Bodycams für die Polizei gelten AXON und REVEAL.

GdP und DPolG begrüßen die Entscheidung
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat den heute von Innenminister Ralf Jäger (SPD) im Düsseldorfer Landtag angekündigten Trageversuch für die Bodycam in fünf Polizeibehörden ausdrücklich begrüßt. „Die Landesregierung hat sehr lange gezögert, die in anderen Bundesländern mit großem Erfolg eingesetzten Körperkameras auch in NRW zuzulassen. Aber mit der heutigen Entscheidung, den Einsatz von Bodycams auch in geschlossenen Räumen zu erproben, wird NRW Vorreiter für andere Länder“ sagte GdP-Landesvorsitzender Arnold Plickert.
Der Landesvorsitzende der DPolG Erich Rettinghaus: „Wir begrüßen die Entscheidung der Landesregierung, ein Pilotprojekt in 5 Kreispolizeibehörden zur Einführung von Body-Cams in NRW zu starten. Wir haben in unserer Stellungnahme vom 24.12.2014 für den Landtag klar zu einer Einführung Stellung bezogen. Jedes Mittel, welches dazu führt, dass Übergriffe und Verletzungen gegen eingesetzte Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zurückgehen, ist ein probates Mittel sofern es mit geltendem Recht im Einklang steht. Allerdings sollte der Einsatz von Body-Cams auf einer eigenständigen Rechtsgrundlage basieren, insbesondere da der Einsatz auch im privaten Bereich erfolgen soll.“
Im vergangenen Jahr (2015) hat es alleine in NRW fast 8.000 Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten gegeben. Der Großteil der Übergriffe hat sich bei normalen Routineeinsätzen ereignet wie der Aufnahme von Verkehrsunfällen, der Überprüfung der Personalien wegen des Verdachts auf eine Straftat, Familienstreitigkeiten oder zum Beispiel bei Einsätzen wegen häuslicher Gewalt.
Studie: Gewalt gegen Polizeibeamte
Das das Phänomen Gewalt gegen Polizeibeamte auch in NRW kein Neues ist, zeigte eine umfassende Studie bereits im Jahr 2011. Insgesamt 18.443 Polizisten, somit fast die Hälfte aller Polizisten in NRW, hatten sich an der Studie beteiligt. Knapp 80 Prozent der teilnehmenden Polizisten mit Bürgerkontakten schilderten dabei Gewalterfahrungen im untersuchten Zeitraum. Die Studie zeigte, dass die Gewaltbelastung in einigen Organisationseinheiten der Polizei besonders hoch ist. Dazu gehören der Wachdienst und die Bereitschaftspolizei. Im Polizeigewahrsamsdienst haben beispielsweise über drei Viertel der Befragten mindestens einen tätlichen Angriff im Jahr 2011 erlebt. Die von vielen geschilderte Konsequenz: anhaltende Schlafstörungen, überzogene Wachsamkeit oder ständige Reizbarkeit.
Für den Innenminister Ralf Jäger war in einem Pressestatement am 02. Dezember 2013 bereits klar: „Das ist zu viel. Hier muss mehr getan werden. Wir wollen Einsatzkräfte vor Gewalt zu schützen. Außerdem brauchen sie Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten“, so der Innenminister damals.
Polizisten sehen Problematik im Personalmangel
In der Studie verwiesen Polizeibeamte jedoch auch auf eine weitere Problematik, wieso es aus ihrer Sicht zu den zunehmenden Angriffen auf sie kommt. Zitat eines PVB aus der Studie:
„Auch wenn Sie sich hier sehr viel Mühe [mit dem Fragebogen] gegeben haben: An der enormen Arbeitsbelastung wird sich aufgrund der katastrophalen Personalsituation bei der Kriminalpolizei nichts ändern. Im MIK scheint es Entscheidungsträger zu geben, die keine Ahnung haben, wie es auf der Straße zugeht. Hallt der Ruf nach Personalverstärkung seitens der Behörden durch das Land, vorausgesetzt, es traut sich ein Behördenleiter, überhaupt zu rufen, wird auf Statistiken verwiesen, die diesen Ruf doch eigentlich verbieten. Scheiße!
Wen interessieren denn Statistiken? Mich und meine Kollegen interessiert die zunehmende Belastung im Dienst, das immer höher werdende Alter der Kollegen im Wachdienst und die zunehmende Bereitschaft des polizeilichen Gegenübers, gegen die Kollegen vorzugehen. Aufgrund meines fortgeschrittenen Alters und immer weniger werdenden Einsatzkräften am Einsatzort, habe ich immer mehr Angst um meine seelische und körperliche Unversehrtheit.
Ich fühle mich relativ alleingelassen von meinem Dienstherrn. Gleichzeitig habe ich Angst durch den Wechseldienst krank zu werden und anschließend, da ich in einer kleinen Behörde meinen Dienst versehe, polizeidienstunfähig und ausgesondert zu werden. Mir fehlt die Motivation in der ersten Reihe meinen Kopf für verfehlte Politik hinzuhalten.
Video: So werden Polizisten in Berlin von jungen Migranten angegangen
Oder Zitat: „Bei den Fragen zu den Einsatzmitteln fehlt mir die Möglichkeit, mehr Einsatzkräfte einsetzen zu können. Es hat in der weiter zurück liegenden Vergangenheit Situationen gegeben, bei denen sich nur zwei meiner Kollegen einem gewalttätigen Mob von 10 ‐ 15 Personen gegenüber sahen. Die Kollegen wurden dabei verletzt. Aufgrund der räumlichen Entfernung trafen Verstärkungskräfte erst 17 Minuten später ein.
Einsatzanlass war z. B. ein Verkehrsunfall mit Flucht. Meine Erfahrung ist, dass es dort, wo starke Einsatzkräfte auftreten, erst gar nicht zu Gewalt kommt, weil das Kräfteverhältnis stimmt. Es sollte auch grundsätzlich zu einem Familienstreit/Häusliche Gewalt ein zweites Einsatzmittel entsandt werden.“
Eine Solidarisierung von zunächst unbeteiligten Personen mit dem polizeilichen Gegenüber thematisierten darüber hinaus 0,7% der 3.806 PVB, die im Abschlussitem Ergänzungen vorgenommen haben.
Wie eine solche Solidarisierung auf die PVB wirken kann, zeigen folgende Aussagen:
„Was mich beunruhigt und immer mehr auffällt, ist das Einmischen von unbeteiligten Personen in polizeiliche Maßnahmen. Zum Beispiel durch Fertigen von Fotos und Videos und verbale Äußerungen/Beleidigungen und Kommentieren von polizeilichen Handlungen.“
„Als besonders belastend werden Situationen empfunden, bei denen Kollegen sich für die öffentliche Sicherheit einsetzen und dabei von Unbeteiligten unvermittelt beleidigt/angegangen werden.“
„Auch von augenscheinlichen „Normalbürgern“ bzw. Unbeteiligten werden Beamte immer häufiger (verbal/körperlich) angegangen. Es ist mittlerweile fast unmöglich, auf offener Straße Maßnahmen gegen eine Person zu treffen, weil sich nahezu durchgängig Unbeteiligte einmischen und die Situation hierdurch oftmals eskaliert.“