Düsseldorf / Köln | Am heutigen Montag fand im Düsseldorfer Landtag eine Sondersitzung des Innenausschusses statt, auf dem der NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) die Polizei Köln scharf kritisierte und der Polizeiführung ‚gravierende Fehler‘ in der Silvesternacht vor warf.
In einem Bericht zur Sondersitzung teilte das Innenministerium für Inneres und Kommunales (MIK) NRW mit, Zitat:
„Das PP Köln hat die Führung des Einsatzes am Silvesterabend wie im Vorjahr einem erfahrenen Beamten des gehobenen Dienstes übertragen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Sicherheitslage bewertet das Ministerium für Inneres und Kommunales diese Entscheidung als kritisch. Die Führung dieses Einsatzes hätte einem Beamten des höheren Dienstes mit einer entsprechenden Führungsgruppe übertragen werden müssen.“
Bei dem Einsatzleiter handelte es sich wie im Vorjahr um einen äußerst erfahrenen Polizeibeamten, der zuvor beim Spezialeinsatzkommando (SEK) Köln tätig war, jedoch in keinem Kontext zum „SEK-Skandal“ 2014 – Abschiedsfotos auf der Severinbrücke – stand. Auch leitete der ehemalige SEK-Beamte u. a. den Polizeieinsatz am Silvesterabend 2014 bereits in Köln, ohne Beanstandungen sowie weitere Einsätze.
Jedoch wirft das MIK NRW der Polizeiführung vor, „verfügbare Kräfte nicht abgerufen zu haben“. So heißt es in dem Bericht weiter, Zitat:
„Am 31.12.2015 lagen dem Polizeiführer bereits um 20:30 Uhr Erkenntnisse vor, dass sich am Bahnhofsvorplatz Gruppen von insgesamt 400 bis 500 hauptsächlich männlichen Personen mit offensichtlichem Migrationshintergrund zusammengefunden hatten, die zum Teil stark alkoholisiert und enthemmt waren. Feuerwerkskörper wurden unkontrolliert in der Menge abgebrannt. Die Gruppen wuchsen bis 23:00 Uhr sukzessive auf etwa 1.000 Personen an.
Die Landesleitstelle des LZPD NRW wurde am 31.12.2015 gegen 23:30 Uhr durch das PP Köln über die Einsatzlage im Bereich des Hauptbahnhofes Köln telefonisch unterrichtet. Während des Telefonats wurden dem Polizeipräsidium Köln durch die Landesleitstelle Unterstützungskräfte angeboten, deren Einsatz jedoch durch den Dienstgruppenleiter der Leitstelle des PP Köln nicht für erforderlich gehalten wurde. Eine zeitnahe
Unterstützung wäre durch die Unterstellung von Sofortverstärkungskräften aus den umliegenden Kreispolizeibehörden sowie im weiteren durch die Rufbereitschaftskräfte der Bereitschaftspolizei möglich gewesen. Alternativ hätten auch Kräfte der regionalen Einsatzreserven angefordert werden können.
Eine Anforderung von Unterstützungskräften erfolgte nicht.“
Fakt ist:
Das Polizeipräsidium Köln hatte im Vorfeld keine Erkenntnisse, die das massierte und geschlossene Vorgehen von Männerbanden in der beschriebenen Form erwarten ließen. Die besondere Gewaltausübung und die erheblichen sexuellen Straftaten gegenüber Frauen stellen eine neue Erscheinungsform dar und waren in dieser Dimension für das Polizeipräsidium Köln nicht vorhersehbar.
Das PP Köln setzte zur Bewältigung des Einsatzes insgesamt 142 Polizeibeamtinnen und -beamte ein. Darunter befanden sich eine Bereitschaftspolizeihundertschaft (BPH) ohne einen Einsatzzug (= zwei Einsatzzüge mit Hundertschaftsführung/tatsächlich 83 Beamte).
Mit Schreiben vom 14.12.2015 forderte das PP Köln beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW (LZPD NRW) zur Bewältigung der Einsatzlagen in der Silvesternacht eine BPH (=123 Beamte) an. In den Vorjahren wurde dem Polizeipräsidium Köln aus gleichem Anlass jeweils ein Einsatzzug (= 38 Beamte) durch das LZPD NRW zugewiesen.
Da das erhöhte Kräfteersuchen des PP Köln in weiten Teilen auf der gleichen Lagedarstellung wie im Vorjahr basierte, erfolgte eine gemeinsame Erörterung des Einsatzkonzeptes und der Lagebeurteilung durch das LZPD NRW und das PP Köln. Im Resultat wurde entschieden, dass dem Polizeipräsidium Köln zur Einsatzbewältigung eine BPH ohne 1 Zug, damit deutlich mehr Kräften als im Vorjahr, zugewiesen wird. Damit wurde
der aktuellen Sicherheitslage auch hinsichtlich der Möglichkeit von Anschlägen mit terroristischem Hintergrund im Rahmen von Großveranstaltungen Rechnung getragen.
Polizei sei „selber Schuld am beschädigten Ansehen
MIK NRW: „Die Einschätzung des PP Köln am Einsatztag, mit den vorhandenen Kräften polizeiliche Maßnahmen umfassend durchführen zu können, wird als gravierenden Fehler bewertet. Durch die fehlende Anpassung der Kräftelage, auf die sich für die Polizei neu darstellende Situation der teilweisen völligen Enthemmung der Männergruppen hatte die Polizei keine Kontrolle über die Lage und konnte quasi vor und unter ihren Augen nicht vermeiden, dass Frauen sexuell geschädigt und bestohlen bzw. beraubt wurden.
Dadurch wurde das Ansehen der Polizei bei den Geschädigten und im Anschluss bei der breiten Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigt und geschädigt.“
Der Innenminister Ralf Jäger ist jedoch davon überzeugt, „dass die eingesetzten Beamtinnen und Beamten in dieser außergewöhnlichen und schwierigen Lage vollen Einsatz gezeigt haben und bis an die eigenen Grenzen gegangen sind.“
Gleichzeitig distanzierte Jäger und das Bundesinnenministerium sich, von dem in den Medien veröffentlichten „Einsatzerfahrungsbericht eines leitenden BPol Angehörigen„.
Zitat: „Hierzu hat ein Abteilungsleiter des BMI gegenüber dem Abteilungsleiter 4 im MIK erklärt, dass es sich hierbei nicht um einen offiziellen und amtlichen Bericht der Bundespolizei oder des BMI handelt. Vielmehr handelt es sich um eine persönliche Einschätzung des Beamten im Anschluss an die dortigen Ereignisse. Der Artikel ist in großen Teilen mit dem Bericht identisch. Von einer Übersendung des Berichtes wird seitens des BMI abgesehen, um ihn dadurch nicht zu „autorisieren. Das BMI wird keinen Vertreter zur Innenausschusssitzung entsenden.“
Verspielen der Innenminister und die Politik das Vertrauen in sich?
Jäger schob auf der heutigen Sitzung eine mögliche Schuld weit von sich und möchte lieber als Aufklärer fungieren: „Nichts werde bei der Aufklärung beschönigt, alles werde darauf gesetzt, eine Wiederholung der Ereignisse von Köln zu vermeiden. Die Öffentlichkeit hat das Recht, über alle weiteren Erkenntnisse im Bilde zu bleiben. Es sei die Pflicht der Behörden, die Bürger auf dem Laufendem zu halten.“
Der Generalsekretär der CDU Nordrhein-Westfalen spricht vom selben Verhalten des Ministers wie bei der aus dem Ruder gelaufenen Hogesa Demo: „Gleiches Muster wie nach Hogesa. Andere haben den Schwarzen Peter. Die politische Führung liefert keine Antworten auf Fragen und übernimmt keine Verantwortung.“
Ähnliche Statements machte die FDP im Landtag heute: „Der Innenminister schiebt zu viel Schuld auf das Polizeipräsidium Köln, obwohl er selbst genügend Verantwortung als oberster Polizeichef des Landes trägt.“
Fakt ist:
Seit den Vorfällen in der Silvesternacht in vielen deutschen Städten wird heiß diskutiert, spekuliert und vor allem gegen die Politik und nicht gegen die Polizei gehetzt. Besonders in den sozialen Medien wird gefordert, dass Politiker „endlich wach werden und handeln müssen“, anstatt Schuldzuweisungen zu machen. Wie der gestrige Sonntag in Köln zeigte, formieren sich mittlerweile ganze Gruppen u. a. aus Rockern, Hooligans und Türstehern, um gegen Personen mit Migrationshintergrund vorzugehen.
Auch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte zeigen immer häufiger öffentlich Gesicht, ihre Meinung und Frust gegenüber der Politik und „Kuscheljustiz“ der hiesigen Gerichte.
Offizieller aktueller Stand in Köln
Mit Stand 11.01.2016, 16.54 Uhr, werden durch die Ermittlungsgruppe „Neujahr“ 553 Strafanzeigen bearbeitet. In etwa 45 Prozent der Fälle ermitteln die Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamten unter anderem wegen Sexualdelikten. Bislang liegen den Mitgliedern der Ermittlungsgruppe Hinweise auf 23 namentlich bekannte Personen vor, die für Straftaten in der Silvesternacht am und im Kölner Hauptbahnhof verantwortlich sein könnten
Mit Stand des MIK NRW vom 10.01.2016, 10 Uhr: Werden durch die Ermittlungsgruppe „Neujahr“ 516 Strafanzeigen bearbeitet. In 237 Fällen handelt es sich um Sexualstraftaten. In 107 dieser Fälle wurde zugleich ein Diebstahlsdelikt angezeigt. Bei den übrigen 279 angezeigten Straftaten handelt es sich um Eigentums- und Körperverletzungsdelikte. Alle bisher ermittelten Tatverdächtigen sind nichtdeutscher Nationalität. Nach vorliegenden Erkenntnissen (Polizei und MIK NRW) handelt es sich hierbei um zehn Personen mit dem ausländerrechtlichen Status „Asylbewerber“ und um neun Personen, die sich vermutlich illegal in Deutschland aufhalten. Neun Asylbewerber sind nach Anfang September 2015 erstmals in Deutschland registriert worden.
Von den Tatverdächtigen stammen 14 aus Marokko und Algerien. Vier der Tatverdächtigen befinden sich derzeit aufgrund von Diebstahls- bzw. Raubdelikten im unmittelbaren Zusammenhang mit den Ereignissen in der Silvesternacht in Untersuchungshaft.
Keiner der 19 Tatverdächtigen hat einen verzeichneten Wohnsitz in Köln. Alle Tatverdächtigen sind ohne festen Wohnsitz oder unbekannten Aufenthalts bzw. in Untersuchungshaft.
Von den bisher ermittelten 19 Tatverdächtigen ist keine Person im Projekt NAFRI (Auswerte- und Analyseprojekt „Nordafrikaner) erfasst. Einer der Tatverdächtigen wurde bisher als sogenannter „Antänzer“ im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem vermerkt.